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„Ein Stück vom Glück“ heißt ein Schwerpunktthema in der aktuellen Ausgabe 3/2017 von „das Netz“. In diesem Artikel werden Pensionäre vorgestellt, die sich an ihren Wohnorten für den sozialen Zusammenhalt und das kulturelle Leben engagieren. Pensionäre wie Josef Hartl, der im Ausschuss des Fördervereins für die Synagoge Michelbach an der Lücke tätig ist. In Ergänzung zum Bericht in „das Netz“ hat Josef Hartl für die Leser vertiefende Informationen zusammengestellt.

Jüdisches Leben in Michelbach an der Lücke

Die ehemalige Synagoge in Michelbach/Lücke ist eine der ältesten noch erhaltenen Synagogen in Württemberg. Heute beherbergt sie ein kleines Museum und eine Gedenkstätte. Eine Dauerausstellung erläutert den Besuchern Aspekte der jüdischen Regionalgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

Bereits Mitte des 16. Jahrhunderts gab es wahrscheinlich in Michelbach an der Lücke eine kleine jüdische Gemeinde. Vermutlich kamen Juden nach dem Pogrom in Rothenburg ob der Tauber im Jahr 1520 durch die Lücke in der Rothenburger Landwehr nach Michelbach.

Der 30-jährige Krieg dezimierte die Bevölkerung auch in der Region Hohenlohe enorm. Erst kurz vor Ende des 30-jährigen Krieges übernahmen die Herren von Schwarzenberg, ein fränkisch-böhmisches Fürstengeschlecht, die Herrschaft und damit auch das sogenannte „Judenregal“. Fortan konnten sie Schutzbriefe an Juden vergeben.

Die ansässige jüdische Bevölkerung erhielt durch das Judenregal vergleichsweise größere Freiheiten, sodass in kurzer Zeit viele Familien dazu kamen. 1720 gab es 19 Haushalte, die regelmäßig Schutzgebühr an die Herren von Schwarzenberg entrichteten.

Lange Zeit fand der Gottesdienst in einem Privathaus statt, doch da die jüdische Einwohnerzahl stetig wuchs, sah sich die Gemeinde veranlasst, um die Erlaubnis zum Bau einer Synagoge zu ersuchen. Nach vielen Zugeständnissen an das Fürstenhaus und unter Aufbringung einer beträchtlichen Geldsumme konnte die Synagoge gebaut werden.

1863 lebten in Michelbach 227 Juden, bei einer Gesamtbevölkerung von 665 Personen. In der Folgezeit verkleinerte sich die Gemeinde durch Abwanderung wieder sehr.

In der „Reichspogromnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die Synagoge zwar nicht angezündet, wohl aber der Innenraum geschändet und zerstört. Im Winter 1941/42 wurden die letzten 19 Michelbacher Juden nach Riga und Theresienstadt deportiert. Zwei überlebten: Thea Gundelfinger und Moritz Eichberg

1983/1984 wurde die damals fast völlig verfallene Synagoge grundlegend restauriert. Dabei konnte sogar der barocke Thoraschrein wiederhergestellt werden. Denn es gab ein Foto davon, das der in die USA ausgewanderte Bruno Stern, dessen Mutter aus Michelbach stammte, aufbewahrt hatte.

In der Synagoge befinden sich nur sehr wenige Exponate. Eine Besonderheit ist eine zum Teil erhaltene Genisa. Das Wort stammt aus dem Hebräischen und bedeutet so viel wie Versteck. Abgenutzte religiöse Handschriften aber auch Kultgeräte, die nicht mehr gebrauchsfähig waren, wurden gesammelt und später in einer Ecke des Friedhofs beerdigt, oder im Dachgebälk versteckt.

Die Vitrinen zeigen unter anderem Exponate aus dem Nachlass der Familie Eichberg. Im Thoraschrein befinden sich Nachbildungen von Thorarollen und Thoraschmuck.

Der jüdische Friedhof in Michelbach an der Lücke

Die Totenruhe ist heilig, darum finden am Sabbat keine Führungen über den Friedhof statt. Ein Friedhof wird wie gottesdienstlicher Raum gesehen: Die Toten ruhen dort bis zur Auferstehung am jüngsten Tag. Deshalb werden Gräber werden kein zweites Mal belegt.

Grabinschriften wurden zunächst ausschließlich in Hebräisch angebracht, ab der Emanzipation auch in deutscher Schrift. Die Schriftzeichen TNZBH sind auf beinahe allen Steinen zu lesen. Ihre Bedeutung: „Seine Seele sei eingebunden in den Beutel des Lebens“ (1. Sam. 25).

Auf vielen Grabsteinen sind Symbole zu erkennen.

Davidstern: Hexagramm „Schild des David“. Symbol ab dem 15. Jh
Schofar: Widderhorn, Hinweis auf ein Ehrenamt
Messer: Beschneidungsmesser des Mohel
Kanne: Zugehörigkeit zum Stamme Levi (Tempeldiener)
Segnende Hände: Nachkomme eines Priesters (Cohen)
Buch: Rabbiner, Lehrer

Ziele des Fördervereins der Synagoge Michelbach an der Lücke

  • Wir wollen erinnern an die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Michelbach/Lücke, als Juden und Christen in dörflicher Gemeinschaft zusammenlebten.
  • Wir wollen erinnern an die Zeit von 1933 bis 1945, an die Verfolgung und die Deportation der letzten jüdischen Mitbürger/innen in den Jahren 1941/1942. Das Gedenken an diese Zeit geschieht vor allem im ökumenischen Gottesdienst zur Reichspogromnacht am 9. November (jeweils 19.30 Uhr in der Synagoge)
  • Wir wollen zur Verständigung zwischen Juden und Christen beitragen und den jüdisch-christlichen Dialog fördern.
  • Wir wollen jeglicher Form von Antisemitismus entgegenwirken.
  • Wir wollen anknüpfen an das gute Zusammenleben zwischen Juden und Christen im Dorf.
  • Wir wollen über jüdisches Leben und Bräuche informieren und das Verständnis dafür fördern.

Das Veranstaltungsprogramm in der Gedenkstätte finden Sie hier: www.synagoge-michelbach-luecke.de. GdHP-Gruppen können sich für eine Führung auch direkt bei Josef Hartl melden: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Die Aufnahmen für die Bildergalerie hat ebenfalls Josef Hartl zur Verfügung gestellt.

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