Dazu brachte uns unser gemieteter Fiat Doplo, der schon leichte Blessuren und eine karge Ausstattung hatte, somit keine Begehrlichkeiten in Polen wecken konnte, sicher ins Nachbarland.
Von Genthin starteten wir, die „Speefüchse" Hans Jürgen Bartsch, Hans Joachim Fuchs, Helmut Höhne sowie als „Interessent" André Zelmanski zunächst über Küstrin nach Thorun (deutsch Thorn), in die Geburtsstadt von Nicolaus Kopernikus,direkt an der Weichsel. Als Hansestadt erlebte sie ihre Blütezeit im 14 Jh. Die Entstehung der Stadt Thorn steht im engen Zusammenhang mit dem Aufbau der Landesherrschaft des Deutschen Ordens an der Ostsee. Heute gehört die historische Altstadt von Thorn zum UNESCO Weltkulturerbe. Die Thorner Kathrinchen - Pfefferkuchen (sehr lecker) haben eine über 700-jährige Tradition. In der Stadtbrauerei Jan Orbracht nutzen wir die Gelegenheit, um Kraft zu tanken für unsere bevorstehende Paddeltour.
Früh am Morgen ging es auf die Piste nach Krutyn ( deutsch Kruttinen), das ist ein kleines Dorf in der Wojewodschaft Ermland-Masuren, Landgemeinde Picki ( deutsch Peitschendorf), Kreis Mragowo (deutsch Sensburg). Hier haben wir für eine Woche unser Quartier aufgeschlagen, um den noch naturbelassenen Fluß Krutynia mit dem Paddelboot zu erkunden.
Bereits vor 4 Jahren haben wir eine 75 km Kanadiertour von Sorkwytie nach Iznota mit verschiedenen Biwakstationen erleben dürfen, die tollen Eindrücke haben uns zu einem erneuten Abstecher in die Masuren inspiriert.
Dieses Mal haben wir die Touren sternförmig durchgeführt, hatten somit mehr Zeit, um Menschen und Natur noch besser verstehen zu können. Diese Gegend ist vorwiegend Naturschutzgebiet und das ist gut so. Zahlreiche Storchen- , Reiher-, Schwan- und Entenfamilien sowie Libellen finden hier Nahrung, um den Nachwuchs aufzuziehen. Vom Paddelboot aus boten sich uns unvergeßliche Naturerlebnisse hautnah. Es war die friedliche Stille an diesen Orten, die uns so in den Bann zog und uns die Welt drumherum vergessen ließ - ein Schatz, den es zu behüten gilt. Ja, es gibt sie noch, die naturliche Schönheit der masurischen Landschaft, abseits des kommerziellen Tourismus.
Wir paddelten täglich spannende Etappen. So lernten wir die unterschiedlichsten Facetten und Schönheiten der Krutynia kennen. Kleine Dörfer zwischen Spychowo und Zgon (ehem. Hirschen) mit traditionellen Holzhäusern. Der Mokresee forderte, bis zum Wehr unseren vollen Körpereinsatz, die Belohnung folgte prompt: glasklares Wasser, Ruhe und Erholung beim Durchqueren eines waldumsäumten Abschnittes des Flüßchens. Zwischen Krutyn und Ukta hatten wir zur Abwechslung eine alte Wassermühle zu überwinden. In Nowy Most erkannten wir einen Biwakplatz wieder, den wir vor 4 Jahren zur Rast besuchten. Einen schönen Tourabschluß bildete vor Iznota das „Mosshaus“, ein herrliches in die Natur eingebettetes Anwesen, vermutlich von einem gut betuchten polnischen Besitzer. Ganz in der Nähe zeugt eine Ureinwohnerstätte der Galindia von den Bräuchen dieses Stammes. Nur wenige Kilometer entfernt liegt Mikolaiken (deutsch Nikolaiken) am größten See Polens (114 qkm) dem Jezerow Sniardwy (deutsch Spirding See) - einst kleines Fischerdorf, heute vollkommen touristisch erschlossen. Leckere polnische Küche fanden wir abseits des touristischen Trubels. „Den Dobre“ (Guten Tag) sagten wir zur Begrüßung und schon probierten wir polnische Riesenpyroggie mit verschiedenen Füllungen aus, einfach lecker.
Abends genossen wir die Ruhe in unserem Quartier bei herzlicher polnischer Gastfreundschaft. Zum Abend, gab es deftige regionale Küche, wie Bigosch, Piroggen und Königsberger Klopse, die wir eigentlich auf dieser Reise direkt in Kaliningrad (deutsch Königsberg) verkosten wollten. Auf Grund der politischen Lage haben wir dieses Ziel gestrichen. Brigitta, unsere Wirtin, versicherte uns jedoch, daß ihre Königsberger Klopse besser als das Original schmecken. Die 90-jährige Ostpreußin, schilderte uns als Zeitzeugin der Geschichte, viele Eindrücke und Erlebnisse aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges und der damit verbundenen Schicksale ihrer Familie. Alte Dokumente und Atlanten veranschaulichten ihren „Geschichtsunterricht“. Wegen unserer forschen, wißbegierigen Art nannte uns Brigitta schmunzelnderweise „Lorbasse“, was nach ihrer Definition soviel wie „pfiffige Jüngelchen" bedeutet!!! Sie gab uns ein Rezept für ein Knoblauch-Elexier mit auf den Weg, damit werden wir garantiert 100 Jahre alt und „garantiert kommt ihr dann wieder nach Krutyn“, sagte sie. Daraufhin prosteten wir uns mit einem Zubrowka zum Abschied zu.
Auf der Rückreise machten wir Zwischenstopp im „Ostpreußischen Gestüt“ Palac Galiny, einem historischen Herrensitz aus dem 16.Jahrhundert. Wir bezogen Quartier hinter der Orangerie im Seitenflügel des Schlosses. Ostpreußen hat eine lange Tradition in der Pferdezucht, so kommen die Trakkehner ( Warmblüter) von dort. Erkennungsmerkmal ist das Tattoo "Elchschaufel" am linken Hinterlauf. In Gallin jedoch fand bei unserer Ankunft ein Event statt „Kutschen Wettbewerb" und wir waren mitten drin. Für uns ein eindrucksvolles Erlebnis besonderer Art.
Nach rustikalem Frühstück im „Pferdestall“ reisten wir weiter Richtung russischer Grenze - Kaliningrad war 56 km entfernt, zum Greifen nah und doch so fern. Wir fuhren Richtung Danziger Bucht über Fromburg, Elblag nach Danzig, wo wir das Wahrzeichen, das berühmte Krantor, das Danzinger Goldwasser Haus und die Bernsteinstrasse besichtigten. Straßenmusikanten am Neptunbrunnen neben der Danziger Brauerei, luden zum Verweilen ein. Ein Abstecher in die Hafenstadt Gdynia, gegenüber der Halbinsel Hel und Sopot mit der längsten Holzseebrücke (502m) in Europa, rundeten unser Bild von der "Dreistädte Stadt" ab. Zum Abschied gab es ein Abendessen im traditionellen „Gedansker“, einem Restaurant mit historischer Hanse - Innenausstattung. Hier speiste u.a. auch Lech Walesa, der Begründer der „Solidarnosch“ -Bewegung Polens - ein Fotodokument zeugt davon an der Lokalwand.
Kohlberg, vielen bekannt als Ostseebad mit zahlreichen REHA Einrichtungen, begrüßte uns mit seinem Wahrzeichen, dem mittelalterlichen Leuchtturm, wo wir am Strand einen unvergeßlichen Sonnenuntergang erlebten.
Fazit: Die Gegend, die wir kennen lernen durften, ist einzigartig schön und die Menschen sehr gastfreundlich und friedlich.
Darum: Nie wieder Krieg, bewahrt den Frieden und schützt unsere Erde!
Helmut Höhne
Juni 2022